HYGGE ODER DIE HÖLLE IM NORDEN
Seit nunmehr acht Jahren findet auf dem ehemaligen Areal eines der größten Schiffswerften Dänemarks ein lupenreines Festival statt. Mit System of a Down, Five Finger Death Punch, Alter Bridge, Airbourne oder Prophets of Rage ist dieses Festival auch sehr prominent besetzt. Ich habe mich mal auf dem Weg gemacht, um diesem Event einen Besuch abzustatten. Um eines klarzustellen: Ein Metal-Festival dieser Größenordnung würde es in der deutschen Hauptstadt nicht geben. Auch wenn das Festival-Gelände nicht im Zentrum der Stadt ist, so ist es doch vom Hafen Kopenhagens aus gut zu sehen – und ich gehe auch mal davon aus gut zu hören.
Ich bin 2014 durch Zufall auf das Festival gestoßen, als ich nach neuen Events gesucht habe. Was mich damals schon beeindruckte war das Line-Up. So spielten damals neben Arch Enemy, Black LabelSociety und Twisted Sister auch Iron Maiden. So ein Festival kann nicht schlecht sein. Auch in den Folgejahren hat man mit Bands wie Ghost, Slipknot, Black Sabbath, Scorpions und Alice Cooper nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Dieses Jahr standen nun, wie oben bereits erwähnt u.a. System of a Down auf dem Programm. Ergo hieß es am Dienstagabend Sachen bereitstellen, damit ich mich am frühen Mittwochmorgen mit der Bahn auf dem Weg von Berlin nach Kopenhagen machen konnte. Nach guten sieben Stunden Fahrt erreichte die Bahn dann auch pünktlich den Hauptbahnhof von Kopenhagen und ich musste erfreut feststellen, dass das Festival nicht allzu weit vom Hotel entfernt ist. Nur gut dreißig Minuten Fußweg – kann man machen. Nachdem ich mir dann auch schon meine Fotopässe und das Festivalbändchen abgeholt hatte, konnte der Rest des Tages mit Sightseeing verbracht werden.
Mehreren Studien nach zu urteilen, leben in Dänemark die glücklichsten Menschen der Welt, was diese vor allem auf das Lebensgefühl zurückführen. Hierfür gibt es sogar ein dänisches Wort: Hygge! Ins Deutsche übersetzt heißt dies: Gemütlichkeit. Wenn man einmal einen Blick auf den Festivalplan geworfen hat, stellt man schnell fest, dass diese Gemütlichkeit auf das Festival übertragen wurde. Geht man auf deutsche Festivals dieser Größenordnung, dann hat man gleich Streß. Schon beim Blick auf das Festival-Programm. Man muss sich am besten Fünfteilen, um alle Bands sehen zu können, auf die man Bock hat. Nicht so beim Copenhell. Alles zu seiner Zeit.
Am heutigen Donnerstag spielen ganze zwölf Bands auf drei Bühnen. Alles easy also. Auch am Einlass merkt man eine Gelassenheit. Ganz ehrlich, man ist schon beinahe verwirrt um ehrlich zu sein. Alle sind gechillt, hier wartet man geduldig, bis die Tore sich öffnen. Im Vorfeld kann man sich den kleinen Copenhell-Friedhof anschauen, den man vor Ort aufgebaut hat, oder man geht zu kleinen Händlern, die am Straßenrand Grill und Bierstand ihre Waren feilbieten. Für manche Dinge gibt es halt eine internationale Norm.
Um kurz vor 13 Uhr wird es dann vor dem Eingang sehr voll. Die Securities bauen sich am Bauzaun auf, der provisorisch als Eingangstor herhalten muss, und beginnen einen Countdown herunterzuzählen. Die Aufregung unter den Anwesenden steigt hörbar. Und als das Tor schließlich geöffnet wird, gibt es für tausende Fans kein Halten mehr. Brüllend rennen sie die Weg Richtung Festival-Gelände hoch. Hier angekommen, stelle ich schnell fest, dass ein Teil noch abgesperrt ist, denn die Tore zum Infield öffnen sich erst um 14:30. Kein Problem. Bevor mit Inglorious die erste Band die kleine Bühne entert, habe ich ein wenig Zeit, mich umzuschauen.
Und schon dieser kleine Teil, der offen ist, hat einiges zu bieten: An der kleinen Pandaemonium-Bühne befindet sich ein kleiner Bereich der von den Fans liebevoll Asgard genannt wird. Hier ist allerdings kein Motto-Dorf wie in Wacken aufgebaut worden, wo man einen Mittelaltermarkt etabliert hat. Nein, hier sind neben Trink- und Fressbuden einfach Holzdrachen als Sitzmöglichkeit und ein paar Galgen für das Ambiente hin gebaut worden. Nettes Gimmick, aber nicht weltbewegend. Auf der anderen Seite wurde auch an Fans gedacht, die mehr wollen, als nur Musik. Neben einem großen Biergarten-Zelt, findet man hier eine Art Skate-Park, der auch gleich stark frequentiert ist – kann man gut finden, oder halt nicht. Wer damit nichts anfangen kann, geht halt nicht dahin. Eines stellt man allerdings gleich auf dem Gelände fest: Die Essenspreise auf dem Gelände liegen umgerechnet zwischen 6 und 10 Euro. Auch das Bier (übrigens eigens für das Festival hergestellt) liegt bei 6 Euro der halbe Liter. Es geht also (Sweden Rock ist deutlich teurer). Dafür schlagen die Preise für das Festival-eigene Merchandise deutlich höher zu Buche: Umgerechnet ganze 35 Euro für ein T-Shirt und schlappe 75 Euro für eine Jacke sind ein deutlicher Grund dafür, kein Merchandise zu kaufen.
Pünktlich um 14 Uhr betritt dann der hiesige Moderator die Bühne. So wie man mir mitteilt, ist das wohl einer der beliebtesten Radiomoderatoren in ganz Dänemark. Voller Enthusiasmus weiß er, wie er die Masse zum Toben bringt und kündigt schon die erste Band an: Inglorious!Die britische Band um den Sänger Nathan James (ex-Trans-Siberian Orchestra, ex-Uli Jon Roth) ist eine gute Wahl für die Opener-Position. Der erdige, blues-orientierte Rock ist gut dafür geeignet, das Publikum auf Betriebstemperatur zu kriegen. Mit Songs wie „Read All About It“ oder „Hell Or High Water“ haben sie auch schnell das Publikum in ihrer Hand. Keine große Show, nur schnörkelloser Rock. So kann der Tag starten.
Gegen 14:30 öffnet dann auch das Infield zum ersten Mal und es ist dasselbe Bild, wie davor, als das große Tor geöffnet wurde. Nun habe ich auch erstmals die Möglichkeit, das komplette Gelände zu inspizieren. Und ich muss sagen: Es ist groß. Ganz ehrlich? Hier ist Platz für knapp 90.000 Leute. Doch die Veranstalter geben nur 23.000 Karten frei, die übrigens auch alle vergriffen waren. Es ist also sehr weitläufig. Auch hier gibt es überall kleine Dekorationen und Attraktionen. Am Rand des Geländes findet sich zum Beispiel das ‚Smadreland‘ (übersetzt: Zerstörerland): Hier kann man nach Lust und Laune mit einem Vorschlaghammer auf Autos einkloppen. Zwar nichts Weltbewegendes, aber, wer drauf steht…
Während sich auf der kleinen Infield-Bühne „Hades“ die Band Devildriver vorbereitet, wandere ich weiter das Gelände ab. Natürlich findet man auch hier den allseits beliebten Marktplatz mit verschiedensten Artikeln. Bevor es also für mich weitergeht, mache ich mich erst einmal auf um zum VIP-Gelände zu kommen, wo sich unser Pressezelt befindet. Kamera-Akku gilt es nochmal nachzuladen und das Handy konnte auch ein wenig Strom vertragen. So kann ich mir den Auftritt von Dez Fafara anhören und ein wenig die Beine langmachen.
Weiter geht es für mich erst um kurz nach 16 Uhr mit In Flames. Kurz vor deren Auftritt positioniere ich mich auch schon am Pit und warte auf Einlass. Ich bin immer noch fassungslos ob der Tatsache, dass eine Band wie In Flames hier am Nachmittag spielt. Aber die Schweden um Sänger Anders Friden wissen auch bei Tageslicht zu überzeugen. Atmosphärisch geht es mit „Wallflower“ ins Set. Und hier geht es Schlag auf Schlag: Auf „Alias“ folgen „Before I Fall“ vom aktuellen Album »Battles« und „Leeches“ über „Where the Dead Ships Dwell“, bevor die Schweden mit „Moonshield“ und „Jester’s Dance“ zwei Perlen vom 1995er Album »The Jester’s Race« ausgraben. Nach dem Klassiker „Only For the Weak“ erntet die Band auch unheimlich viele Sympathiepunkte, als Anders im Publikum einen kleinen Jungen entdeckt und ihn auf die Bühne holt. Von dort darf er sich dann den Rest der Show anschauen und wird mit Getränken versorgt, bevor die Band mit dem unzerstörbaren „Cloud Connected“ weiter im Programm macht, bei dem der Junge sogar ein paar Mal ins Mikro brüllen darf. Nach „Deliver Us“ darf auch der Vater des Jungen auf die Bühne und darf dort auch den Rest der Show bleiben. In den Soliparts setzt sich Anders auch regelmäßig zu den beiden, macht Selfies und albert mit Vater und Sohn herum. Sehr cool. Nach „Take This Life“ ist dann auch Schluss mit den Schweden. Ein geiles Set mit viel Spielfreude.
Nun heißt es Bühnenwechsel, denn mich führt der Weg zurück zur Pandaemonium-Stage, denn dort erwartet das Publikum den Auftritt von Frank Carter & The Rattlesnakes. Ich habe im Vorfeld viel Vorschusslorbeeren für den Briten gehört und bin gespannt, ob er diese verdient hat. Nach einer kurzen Einleitung des Moderators geht es dann auch schon los. Sehr Punklastiger Sound und viel Spielfreude wissen die Fans zu überzeugen. Frank selber ist ein charismatischer Frontmann, den auch schnell ins Publikum zieht. Nett gemacht, aber mehr als 30 Minuten muss ich jetzt nicht sehen. Ich mach hole mir lieber noch etwas zu essen, versorge mich mit Bier und ruhe mich noch einmal aus, bevor es mit Prophets of Rage weitergeht. Hier erreicht mich auch schon kurz vorher der erste Wermutstropfen, als es nämlich heißt, dass das Management von Prophets of Rage nur eine handverlesene Zahl an Fotografen in den Pit darf. Egal, dann wird die Show halt so geschaut.
Auf dem Weg zur großen Hauptbühne „Helviti“ statte ich noch an der Hades-Stage unseren Jacky Lehmann einen Besuch ab, der die Bühne bereits für Saxon vorbereitet. Dann geht es zur Helviti-Stage, auf der es dann auch gleich mit dem Song „Prophets of Rage“ von der letztjährig erschienenen EP »The Party is Over« los. Wer Prophets of Rage nicht kennt, dem sei gesagt, dass sich hier Musiker von Rage Against The Machine, Public Enemy und Cypress Hill zusammengetan haben. Im Großen und Ganzen besteht das Set dieser Band aus Material von Rage Against The Machine. Ich war zwar nie ein großer Fan dieser Combo, jedoch muss ich zugeben, dass der Sound mehr als fett ist und die Band live auch gut was hermachen. Sehr schön ist der Augenblick, als die RATM-Musiker Morello, Commerford und Wilk zu ehren von Chris Cornell den Audioslave-Hit „Like A Stone“ instrumental zum Besten geben. Mit dem unvermeidlichen „Killing in the Name of“ ist das Set dann auch beendet. Gut gemacht, aber ein großer Fan werde ich wohl auch in Zukunft nicht.
Pünktlich um 21 Uhr heißt es dann Vorhang auf für Biff Byford, Nibbs Carter, Doug Scarratt, Paul Quinn und Nigel Glockler. Heute Abend gibt es die volle Dosis NWoBHM mit der Legende Saxon, die immer noch mit ihrem aktuellen Album »Battering Ram« unterwegs sind. Und wenn man einmal direkt vor einer PA gestanden hat, die unser Jacky bedient, dann weiß man, warum man ihn den Loudmaker nennt. Alter… schon beim Intro-Song „It’s a Long way to the Top“ von AC/DC spüre ich einen derben Druck am Brustkorb. Und es wird sogar noch krasser, als Saxon mit „Battering Ram“ loslegen.
Die Briten wissen natürlich, was ihre Fans hören wollen und das bekommen sie auch. Einen guten Querschnitt durch die Karriere der Jungs mit unverzichtbaren Klassikern der Marke „Power and the Glory“, „Wheels of Steel“, „Heavy Metal Thunder“ und „Denim and Leather“, bei dem Biff die Kutte eines Fans überzieht. Mit „Princess of the Night“ beenden Saxon ihr Set dann auch, dass ich freundlicherweise bei Jacky vom FOH-Platz aus schauen darf.
Nach Saxon stehen nun nur noch System of a Down auf dem Plan. Ich bin zwar auch hier kein wirklicher Fan dieser Band, aber wenn sie schonmal da sind, kann man sich die Jungs ja mal anschauen. Auch hier hat das Management verfügt, dass nur eine Handvoll Fotografen in den Pit dürfen, ich zähle nicht dazu. Kein Beinbruch. Wie gesagt, ich bin eh kein Fan. Mit etwas Verspätung legt die Band dann auch mit „Soldier Side“ los, gefolgt von „Suite-Pee“ und „Prison Song“ ich stelle fest, dass die Band live zwar gut ist, aber ich weiß auch, warum ich mit der Band nicht warm werde. Das ist mir musikalisch alles zu chaotisch, weshalb ich mich dazu entscheide, langsam den Weg ins Hotel zu suchen. Zu den Klängen von „Aerials“ verlasse ich auch das Gelände und trete den Heimweg an. Morgen ist schließlich Großkampftag.