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TAG 2 - SAMSTAG, 02.07.2022
31.500 Schritte auf der Uhr und Waden so dick, wie der Hals vom Corpsegrinder, so begann der zweite Tag beim Tuska, bzw. vor dem Tuska, denn heute war erstmal ein wenig Sightseeing angesagt, bei dem meine Frau den besten Kaffee der Welt (O-Ton) ausfindig machen, ich endlich nach 6 Jahren Wartezeit mein Karhu Glas einsacken konnte und wir bei herrlichem Wetter auf die Festungsinsel Suomenlinna übersetzten, um dort mit leckeren einheimischen Getränken auf die Bucht von Helsinki zu blicken, herumzuwandern und einfach das Leben zu genießen.
Mein mit Stoff beladener Rucksack war danach jedenfalls um ein Vielfaches leichter.
Danach ging es ausnahmsweise mal schick essen, doch wenn der Olaf nicht lesen kann, kann es durchaus vorkommen, dass der Magen nach dem Verzehr noch leer ist und das Portemonnaie noch viel leerer wird. Der Unterschied zwischen Enchilada und Ensalada besteht zum größten Teil aus grünem Blattzeug, welches zwar hervorragend mundete, aber nicht satt machte. Also noch eine Portion Fajitas hinterher und schwupp hatte ich allein für mich mal schlanke 50€ investiert. Ups....
Irgendwann machten wir uns dann auf zum Gelände, nicht ohne vorher in der Trooper Bar noch ein Ale gleichen Namens von einer nicht näher zu erklärenden Band aus Großbritannien zu sich zu nehmen. Ja, wir waren vorbereitet für den zweiten Tag beim Tuska, doch ich konnte noch nicht ahnen, dass sich am heutigen Tag mein Musikgeschmack für dieses Jahr entscheidend verändern würde.
Definitiv aber noch nicht durch Insomnium, bei denen ich mich immer frage wie sie es schaffen, dass die Leute bei dieser gähnend langweiligen Mucke so ausrasten können, was im Übrigen leider auch für Bloodred Hourglass galt, die ich auf Platte eigentlich recht ordentlich finde, live aber geht das gar nicht und traf meinen Nerv wie ein offener Zahn. Dafür gefielen mir Oranssi Pazuzu sehr gut und dass, obwohl ich mit Black Metal wenig anfangen kann. Doch die Bande aus Tampere konzentrieren sich mehr auf ihre düstere und zum Teil schleppende Mucke und verzichten dabei auf den bei Kollegen Bands üblichen Chichi und das machte wirklich Spaß anzuschauen. Die gehen gerne auch mal alleine in einem Club.
Richtig Spaß machte dann Joe Lynn Turner, der mit gaaaanz vielen Rainbow Songs gerade die etwas ältere Fraktion ausreichend bediente und mit dem Malmsteen Klassiker „Deja Vu“, den ich tatsächlich 1986 mit meiner Schulband mal gecovert hatte, einen richtig fetten Pfeil im Köcher hatte. Zum Schluss gab es natürlich „Long live Rock’n’Roll“, der ebenfalls schön treibend auf das Festival Areal herunterprasselte und bewies, dass alte Eisen noch lange nicht auf den Schrottplatz gehören. Ganz stark und genau das richtige für einen sonnigen Frühnachmittag. Doch nun sollte der Knaller des gesamten Wochenendes auf uns warten.
Reckless Love waren wir namentlich bekannt und auch der Glam Rock Stil, den die Mannen aus Finnland seit Jahren recht einprägsam zu Gehör brachten. Doch seit „Turborider“ ist alles anders und ich gebe zu, dass ich das Album, welches seit diesem Tag nunmehr täglich seine Runden in meinem Player dreht, seit März geflissentlich vor mir hergeschoben hatte, da ich nicht wusste, wie ich mit einem solch lassen Stilwandel umgehen sollte. Mittlerweile bin ich mir selber über meinen krassen Fauxpas im Klaren, denn die 80er Schiene, die die Jungs mittlerweile fahren und mich wieder jung werden lässt, ist so verdammt geil, dass sogar unser Black Metal Patrick sich das Teil auf Vinyl besorgte, aber das sei nur mal am Rande erwähnt.
Das Quartett riss die komplette Belegschaft vor der Bühne sofort mit, jeder konnte die einprägsamen Songs neueren und älteren Datums sofort mitsingen und alle waren am Tanzen. Die Sonner ballerte unbarmherzig, was perfekt zu den Hymnen von Reckless Love passt und man dachte, man sei in Miami statt im hohen Norden. Die Ansagen waren locker flockig, die Mucke unfassbar großartig und für mich stad jetzt schon fest, dass es selbst der später noch kommende King nicht schaffen würde, diese Inferno zu toppen. Unglaublich! Leider sah das mitgebrachte Merch total kacke aus, sonst wären von mir noch ein paar Euronen in deren Bandkasse gelandet.
Der Switch auf Vltimas um Bandkopf David Vincent fiel da verdammt schwer und obwohl die Truppe von eben jenen Morbid Angel Gründer, Cryptopsy Drummer Flo und Aura Noir Gitarrist Rune Eriksen auf ihrem letzten und bislang einzigen Album „Something wicked marches in“ richtig fette Mucke ablieferten, konnte der Funke bei mir nicht überspringen, obwohl ich das Album ziemlich geil finde. Man konnte also sagen, Glam Rock hat mich zerstört.
Nun war wieder eine ganze Reihe von Bands am Zug, die mich nicht interessierten und auch wenn ich es versuchte, gingen mir die von allen völlig abgefeierten Stam1ia so unfassbar auf den Zeiger, dass wir noch eine kleine Runde über das weitläufige Gelände drehten, dabei völlig Wahnsinnige beobachteten, die bei gefühlten 40 Grad im Schatten ihrer Saunaleidenschaft frönten, Eis schlabberten, eine Ausstellung besuchten und erst wieder bei Amorphis vor der Bühne strandeten. Eine Band, die auf Platte bei mir in den letzten Jahren wieder etwas Boden gutgemacht hat, live aber immer noch keinerlei Bewegung bei mir auslösen. Und damit stand ich so ziemlich alleine da, denn Tomi und seine Mitmusiker ernteten für jeden Song frenetischen Jubel.
Ok, beim grandiosen „Into hiding“ ihres wohl besten Werks „Tales from the thousand lakes“ oder „Black winter day“ verspürte ich dann doch ein kleines Zucken im Tanzbein, doch irgendwie werden die Finnen und ich in diesem Leben keine großen Freunde mehr. Akzeptanz ja, aber live sind Amorphis für mich einfach ein Buch mit sieben Siegeln. Also direkt danach ins Zelt, um kurz bei Baroness festzustellen, dass das ebenfalls mit uns nichts mehr wird. Dann lieber zu Soilwork, die nebenan zur Attacke bliesen, doch auch hier wurde ich enttäuscht.
Die Schweden, sonst ein Garant für Killershows, wirkten irgendwie fahrig und lethargisch und Björn Strid, ein ausgewiesener Könner seines Fachs, sang mehr clean als grunzend, was mir ebenfalls missfiel. Hier muss ich allerdings anmerken, dass ich nicht der einzige war, dem dies auffiel und ich in diesem Zuge einige finnische Worte aufschnappte, die mir mit „langweilig“ und „Zeit für Bier“ übersetzt wurden. Verdammt schade, denn irgendwie hatte ich bei diesem musikalisch eher mauen Tag auf etwas mehr Überraschungen gehofft.
Aber es sollte ja noch der King kommen und wir hatte Glück, dass wir uns einen Platz auf einem der Dächer der Bierschänken sichern konnten, bei denen die Leute für einen schlanken Zehner einen halben Liter Plörre bekamen, den man kaum als lecker bezeichnen konnte. Lustig nur, dass die Aluminiumbehälter palettenweise weggeschleppt wurden, was den Umkehrschluss zulässt, Finnland besteht zur Hälfte aus reichen Menschen. Da kann selbst der ziemlich hohe Mindestlohn nicht der Grund sein. Aber ich schweife ab.
Pünktlich um halb 11 betrat dann King Diamond mit seinen Mannen die Bühne, die leider aufgrund der Dauersonne in Skandinavien recht hell war und somit nicht das okkulte Flair aufkommen konnte. Doch das interessierte jetzt nun niemanden mehr, denn als Mercyful Fate mit „The oath“ begannen, gab es für mich kein Halten mehr. In diesem Moment fühlte ich mich wieder jung und wenn der King dann auch noch stimmlich klingt, als ob 38 Jahre ein Schiss wären, stimmt einfach alles! Ich überlegte nur die ganze Zeit, dass ich den Bassisten von irgendwoher kannte…und richtig, Armored Saint Viersaiter Joey Vera war am Start, was für mich als ausgewiesener Fan der kalifornischen Metaller noch ein Highlight obendrauf war.
Die Setlist war zum Zungeschnalzen, der Sound im Gegensatz zu Korn am Vortag super, doch das Publikum wirkte irgendwie träge und schläfrig, was den King aber scheinbar nicht weiter störte, denn er bedankte sich mehrfach bei dem „enthusiastischen“ Publikum. Sarkasmus? Kann ich mir nicht vorstellen, denn die dargebotene Show ließ keinerlei Wünsche offen. Und ja, bei „Melissa“ hatte ich Gänsehaut am ganzen Körper. Was für ein Jahrhundertsong! Irgendwie ging das alles viel zu schnell vorbei und als wir nach Ende der Show und in Richtung Innenstadt aufmachten, blieb trotz einer schwachen Billings am heutigen Tag die Gewissheit, etwas Neues entdeckt und etwas Altes wiederentdeckt zu haben.
Bei der Aftershow Party war kein Reinkommen mehr, doch die Bars, die alle nebeneinander liegen, boten ebenfalls einen lauscheigen Platz für ein paar Scheidebecher und als dann auch noch Lost Society Frontmann Sammy Elbana bei uns am Tisch saß und wir noch ein paar Stunden fachsimpelten, war nicht nur mein Konto leer, sondern ich im Umkehrschluss auch voll, was in Skandinavien quasi eine Hypothek aufs Haus bedeutet.
Glücklich sank ich dann später aufs Kissen unseres Hotels, welche goatseidank fußläufig erreichbar war und murmelte noch eine Weile „Long live the king“, bis ich dann in Morpheus Arme sank.
Den dritten tag konnten wir dann nicht mehr mitmachen, da wir aufgrund des durch das böse C verschobenen Konzertes von Iron Maiden am darauffolgenden Montag in Berlin schon am Sonntag abreisen mussten und ich somit ein paar Kracher wie Devin Townsend oder Kreator leider verpasst. Aber…das holen wir bald nach, denn das Tuska ist immer eine Reise wert!