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NIGHTWISH – Yesterwynde (2024)

(9.098) Jörn (7,5/10) Symphonic Metal


Label: Nuclear Blast
VÖ: 20.09.2024
Stil: Symphonic Metal






Turbulente Zeiten im Hause NIGHWISH. Zunächst gab Bassist und Teilzeitsänger Marco Hietala seinen Ausstieg bekannt. Dann bekam Frontfrau Floor Jansen die Schockdiagnose Brustkrebs. Glücklicherweise hat sie die Krankheit mittlerweile überstanden und fand gleichzeitig sogar noch Zeit, ein Soloalbum zu veröffentlichen. Zusätzlich zur Ankündigung des dieser Tage erschienenen neuen Albums „Yesterwynde“ machte dann auch noch die Nachricht die Runde, dass sich die Band auf unbestimmte Zeit eine Live-Pause verordnet hatte. Machen sich da etwa Auflösungserscheinungen breit? Ganz so dramatisch muss es jetzt natürlich nicht gleich sein. Aber trotzdem durfte man gespannt sein, ob sich „Yesterwynde“ in diesem unruhigen Fahrwasser zu einem weiteren Highlight entwickeln konnte oder den Symphonic-Metal-Pionieren doch langsam die Luft ausgeht.

Ich würde mich selbst nicht unbedingt als reinrassigen NIGHTWISH-Fan bezeichnen. Aber zumindest deren Frühwerk „Oceanborn“ fand ich bei Erscheinen ziemlich interessant und ist seither ein kleines Guilty-Pleasure für mich geblieben. Zwar hat mich die danach aufgekommene Symphonic-Metal-Welle schnell gelangweilt, bei NIGHTWISH habe ich jedoch immer mal in die Releases reingehört.

Dass eine Band, die mittlerweile schon stramm auf die Dreißig zugeht, heutzutage nicht mehr ganz wie zu ihren Anfangszeiten klingt, ist nicht ungewöhnlich. Vor allem die beiden Alben mit Floor hinter dem Mikro machten klar, dass die Zeiten, in denen die Band kitschigen Gothic-Bombast produzierte, unwiederbringlich vorbei sind. „Yesterwynde“ stellt dazu keine Ausnahme dar und geht ähnlich wie „Endless Forms Most Beautiful“ und „Human :II: Nature“, für die das Album nun eine Art Abschluss einer Trilogie darstellen soll, in eine deutlich erwachsenere und progressivere Richtung. Klar, viele NIGHTWISH-Trademarks sind natürlich unverkennbar weiterhin vorhanden. Die Keyboards und Orchester-Klänge sind dominant wie eh und je, und die Songs sind opulent und ausladend. Aber insgesamt auch in Summe etwas ruhiger. Wer also bei den Vorgängeralben bereits das Fehlen von Tanzflächen-Fegern der Marke „Bye, bye, Beautiful“ oder „I Wish I Had An Angel“ bemängelte, wird auch mit dem neuen Werk nicht rundherum glücklich werden.

Dazu kommt, dass „Yesterwynde“ insgesamt ziemlich verkopft ist und dem Hörer mit all den Details, die über ihn ausgegossen werden, nicht gerade freiwillig die Tore öffnet. Auch bei mir hatte sich nach den ersten ein bis zwei Durchläufen eher Langeweile statt Euphorie breit gemacht. Dann aber, auf einer langen morgendlichen Zugfahrt, machte es plötzlich Klick und ich hatte meinen Fuß in der Tür. Wenn man also lang genug dranbleibt und einen das Album im richtigen Moment erwischt, kann man durchaus Gefallen daran finden. Zwar sind Songs wie „An Ocean Of Strange Islands“, die Singles „The Day Of…” oder „Perfume Of The Timeless“ nicht fehlerfrei, denn dafür sind die Nummern einfach zu lang geworden. Außerdem schwächeln die Finnen gerade bei einer ihrer Paradedisziplinen. Nämlich den großen Refrains. Aber vor allem, wenn man sich das Werk am Stück reinzieht, fällt die Tatsache, dass es keine richtigen Hits gibt, weniger ins Gewicht. Stattdessen entwickelt das Album eine ganzheitliche Atmosphäre, der man sich durchaus immer wieder gerne hingeben möchte.

Wenn man sich also darauf einlässt, werden auch Nummern wie das anfangs etwas lahm wirkende „Something Whispered Follow Me“ zu angenehmen Spätzündern.

Das größte Ärgernis ist und bleibt allerdings die Tatsache, dass die Band es nach wie vor nicht hinbekommt, der stimmlichen Urgewalt, die Floor Jansen zweifelsfrei mitbringt, eine entsprechende Bühne zu bereiten. Floor, deren Bandbreite von Sopran über rockig bis hin zu zart und gefühlvoll reicht und die unbestreitbar zu den allerbesten Sängerinnen überhaupt zählt, darf hier wieder einmal nur mit angezogener Handbremse agieren. Klar, ein 300 PS starker Wagen macht auch dann eine gute Figur, wenn er mit 90 km/h auf der rechten Spur über die Autobahn tuckert. Das beweist unter anderem das zurückhaltende „Sway“, bei dem Floor im Duett mit Bandflötisten Troy eine gefühlvolle Spitzenleistung hinlegt. Aber wenn man so eine Allzweckwaffe in der Band hat, um die einen alle anderen in der Szene beneiden, muss man hier einfach mehr draus machen. So bleibt leider auch auf „Yesterwynde“ einiges an zweifellos vorhandenem Potential ungenutzt und viele Gänsehautmomente aus.

Trotz der genannten Mängel handelt es sich hier aber auch um kein schlechtes Album. Man muss sich allerdings ausgiebig mit der Platte beschäftigen. Ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit ist daher Grundvoraussetzung, um „Yesterwynde“ etwas abgewinnen zu können. Und man sollte nicht zu den Hörern gehören, die nach wie vor dem Sound der frühen NIGHTWISH hinterhertrauern, als die Finnen quasi im Alleingang ein ganzes Genre erfanden. Dass ihnen in diesem nach wie vor qualitativ niemand wirklich das Wasser reichen kann, unterstreicht auch dieses Album locker. Und ein Grund sich aufzulösen, ist „Yesterwynde“ nun wirklich nicht. Tuomas und Co. sollten allerdings aufpassen, da die Konkurrenz nicht schläft und sie ansonsten irgendwann auf kreativer Ebene überholt werden.

Anspieltipps: „An Ocean Of Strange Islands“ und „Perfume Of The Timeless“


Bewertung: 7,5 von 10 Punkten


TRACKLIST:

01. Yesterwynde
02. An Ocean Of Strange Islands
03. The Antikythera Mechanism
04. The Day Of…
05. Perfume Of The Timeless
06. Sway
07. The Children Of ‘Ata
08. Something Whispered Follow Me
09. Spider Silk
10. Hiraeth
11. The Weave
12. Lanternlight




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