DIAMONDS HADDER – Beyond the Breakers (2024)
(9.240) Jörn (10/10) Heavy Metal
Label: No Remorse Records
VÖ: 22.11.2024
Stil: Heavy Metal
Der November ist schon ein Schlawiner. Denn erneut kommt Kalendermonat elf pünktlich kurz vor Schluss noch einmal mit einer Platte um die Ecke, die sämtliche Pläne diebisch durchkreuzt, die sorgfältig kuratierte Liste mit den eigenen Jahreshighlights durchpflügt und sich ungeniert in die vorderste Reihe schiebt. Waren es letztes Jahr zur gleichen Zeit die Okkult-Doomer GREEN LUNG, die aus dem Nichts kamen und mit ihrem Überwerk „This Heathen Land“ die Poleposition in meinem persönlichen Jahres-Charts erklommen, dürfte sich mit dem kürzlich erschienenen Album „Beyond The Breakers“ von DIAMONDS HADDER das Spiel wiederholen.
Wobei „kürzlich erschienen“ in diesem Fall nicht ganz richtig ist. Denn auf den gängigen digitalen Plattformen gab es das Ganze bereits seit letztem Jahr zu Hören. Aber erst jetzt haben No Remorse Records sich der Nummer angenommen und dem Album einen physischen Release verpasst. Aber disqualifiziert es sich dadurch nicht strenggenommen als aktuelle Veröffentlichung? Mir egal. Denn „Beyond The Breakers“ ist einfach zu gut, um es links liegen zu lassen. Und eigentlich ist „gut“ die Untertreibung des Jahres. Denn was hier in punktgenau 55 Minuten abliefert wird, hat mich komplett umgehauen.
Zunächst einmal ist die Band eigentlich gar keine richtige Band. Denn sie besteht nur aus John Evermore, der nicht nur alle Songs im Alleingang komponiert und sämtliche Instrumente selbst eingespielt hat, sondern alles auch noch mit seiner fantastischen Stimme gesanglich veredelt.
Umso erstaunlicher ist es, über welche stilistische Breite das Ein-Mann-Projekt verfügt. Wollen die Glockenschläge und das Riff zu Beginn des Openers „Ballad Of The Dead Rabbit“ (die Titelreihenfolge des digitalen Releases wurde übrigens für die physische Veröffentlichung noch einmal komplett verändert und macht jetzt viel mehr Sinn) dem Hörer noch weis machen, dass man versehentlich IRON MAIDENs „Hallowed Be Thy Name“ aufgelegt hätte, mausert sich das Stück schnell zu einer gespenstischen Bombast-Hymne, die mir jedes Mal eine Entenpelle nach der anderen über den Rücken jagt. Wahnsinn. Nach diesem trotz seiner stolzen Laufzeit von über sieben Minuten extrem kurzweiligen ersten Schlag folgt mit „Rivers End“ gleich das nächste Meisterstück. Getragene Pianoakkorde erinnern an die Großtaten der ersten SAVIOUR MACHINE Werke, bevor plötzlich die Metal-Keule rausgeholt wird und sich der Song in eine schnelle Nummer verwandelt, ohne dabei seine mysteriöse Dichte zu vernachlässigen. Bereits jetzt zeigt sich, dass John Evermore es meisterhaft versteht, seinen Stücken einen unglaublichen Spannungsbogen zu verpassen, ohne dass ihm jemals irgendwas im Hagel an Details zu entgleiten droht.
Nach diesem grandiosen Doppelschlag folgt ein kurzes Zwischenspiel mit dem Namen „200 North“, bevor mit „Long Is The Road“ und „City Of Fire“ zwei weitere fantastische Klopper um die Ecke biegen. Erstgenannter Song heizt einem direkt mit knallhartem Riffing ordentlich ein, nimmt sich aber immer wieder Zeit für ruhigere Zwischentöne und hat einen Mittelteil, der mich klanglich und von seiner Intensität her an MANOWARs Epos „Bridge Of Death“ erinnert. Nebenbei verfügt der Track nicht nur über den besten Refrain des gesamten Albums, sondern auch möglicherweise den des gesamten Jahres.
Wer meint, dass nach so viel Vielfalt und Ideenreichtum nicht mehr viel kommen dürfte, könnte falscher nicht liegen. Denn verglichen mit Schlussakt von „Beyond The Breakers“ war das alles bis hier hin nur Pillepalle. Als erstes geht „Master Of Illusion“ an den Start. Der hat zwar eine noch üppigere Dauer von über elf Minuten, aber von Mr. Evermore einen so dermaßen delikaten Songaufbau und große Melodien spendiert bekommen, dass er über die gesamte Strecke eine permanente Gänsehaut verursacht. Überhaupt muss ich hier auch noch einmal explizit auf seine Gesangsleistung zu sprechen kommen. Denn die Stimme des Amerikaners ist wirklich absolute Weltklasse. Nicht selten erinnert er an Ronnie James Dio zu seligen RAINBOW-Rising-Zeiten (unter anderem beim bereits erwähnten „Long Is The Road“), klingt dann beim Ende von „Rivers End“ aber auf einmal wie Jon Oliva beim SAVATAGE-Klassiker „When The Crowds Are Gone“, ohne sich je hinter diesen großen Namen verstecken zu müssen. Doch zurück zu besagtem „Master Of Illusion“. Eine Nummer, die Bruce Dickinson sicherlich gerne für eines seiner Soloalben gehabt hätte, steckt dessen ebenfalls dieses Jahr erschienenes und durchaus starkes „The Mandrake Project“ aber locker in die Tasche.
Den endgültigen Schlusspunkt setzt dann der ganz bescheiden nach sich selbst benannte Rausschmeißer „Evermore“. Aber wer hier so dermaßen abgeliefert hat, der darf einen Song auch seinen Namen geben. Und was soll man sagen, hier wird in jeglicher Hinsicht, sowohl in Sachen Laufzeit (das gute Stück geht erst nach über 14 Minuten über die Ziellinie) als auch atmosphärisch noch einmal eins draufgesetzt. Nach dem akustischen Gitarrenintro stampft sich der Song zunächst in bester Holy-Diver-Manier nach vorn, nur um im weiteren Verlauf noch einmal ordentlich den Bombastfaktor zu erhöhen, ohne je im Kitsch zu ertrinken.
Wenn dann das Album mit dem gleichen Windsäuseln endet, wie es beginnt, muss man das Erlebte erst einmal Sacken lassen.
Keine Frage: Wer auch immer sich hinter dem Pseudonym John Evermore (oder heißt der Typ tatsächlich so?) versteckt, hat hier ein wahres Meisterwerk abgeliefert. Was hier an Ideen, kilometerdicker Atmosphäre und songwriterischer Klasse abgefeuert wird, ohne den Hörer dabei zu überfordern, ist schlichtweg atemberaubend und begeistert mich auch nach dem x-ten Durchlauf jedes Mal aufs Neue. Das ist der Moment, wenn Musik zu einem Kunstwerk wird. Alles andere als die Höchstnote wäre eine Beleidigung.
Anspieltipps: „Long is the Road“ und „ Master of Illusion “
Bewertung: 10 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Ballad of the Dead Rabbit
02. Rivers End
03. 200 North
04. Long is the Road
05. City of Fire
06. Master of Illusion
07. Evermore