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JINJER – Wallflowers (2021) (Plus/Minus Review)

(7.288) Olaf (4,5/10) | Karsten (9,5/10) Progressive Groove Metal


Label: Napalm Records
VÖ: 27.08.2021
Stil: Progressive Groove Metal

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(Minus)

Eigentlich ist ja Kollege Dr.Ludwig für die dissonanten Ukrainer prädestiniert, doch aufgrund der Aktualität sehe ich mich dazu gezwungen, mich mit dem dritten Werk des von Tatiana Shmailyuk angeführten Modern Death Metal Quartetts auseinanderzusetzen, was mir selbst nach wiederholtem Hören verdammt schwerfiel. Ich muss allerdings anmerken, dass ich die Truppe bereits mehrfach live ertragen musste und diese Darbietungen meist für ein Gang zum Urinal, respektive Bierstand (zum Nachlegen) nutzte. Dennoch versuche ich mich mal einigermaßen objektiv an dieses schwer verdauliche Werk heranzurobben.

Wallflower” nennt sich das Teil und je öfter ich die Scheibe höre desto weniger verstehe ich den ganzen Hype um die Truppe. Musikalisch ist das verschachtelter Deathcore, der an vielen Stellen unerträglich dissonant aus den Boxen quillt und von einhundert anderen Bands weitaus besser und kompositorisch anspruchsvoller dargeboten wird, die aber niemals auch nur in die Nähe eines ebenbürtigen Plattenvertrag wie Jinjer kommen werden. Woran liegt es also, dass die Band von den Medien und von vielen Fans so gnadenlos in den Himmel gehoben wird?

Ehrlich, ich weiß es nicht und auch wenn Songs wie das bereits vorab veröffentlichte ”Vortex” oder das etwas eingängigere ”Disclosure!” für eine leichte Blutzirkulation im Standbein sorgen, ist das Gesamtwerk am Stück verdammt schwer zu verdauen. Komischerweise gefallen mir Jinjer am besten, wenn die Frontlady mal nicht wie ein angefahrener Dachs jault, sondern klar wie ein reiner Gebirgsbach am Morgen zu harten Gitarrenpassagen singt. Riffs kann man ja leider nicht sagen, denn die sind so gut wie gar nicht vorhanden, würden aber dem Gesamtsound mehr als guttun. Der ist allerdings recht fett und auch wenn die Snare klingt wie ein zerbeultes Ölfass, kann der geneigte Purist durchaus Gefallen daran finden.

Ja, für die violent Dancing Fraktion Ist "Wallflower” der perfekte Soundtrack, um die in der Woche angestauten Frustrationen Fäuste schwingend vor den Bühnen dieser Welt abzubauen. Der normalsterbliche Heavy Metal Fan wird hingegen etwas angesäuert die Nase rümpfen und mit dem hier gebotenen Songmaterial wenig anfangen können. Nun ja. Karsten, der Fehdehandschuh wurde geworfen. Überzeuge mich und unsere Leser von etwas anderem.


Bewertung: 4,5 von 10 Punkten




(Plus)

Das ukrainische Quartett hat wieder zugeschlagen! Wie bei JINJER üblich, weiß man im Voraus nie so recht was auf einen zukommt – kein Wunder bei dem bandeigenen Stil, der scheinbar unvereinbare Musikstile kombiniert und am Ende auf einem Album eine Melange aus Blues, Jazz, Progressive Rock bzw. Metal, Reggae, Folklore, Alternative Rock, Djent, Thrash und Metalcore präsentiert. Insofern wird es auch schwer die Band und dieses Album in wenigen Worten zu besprechen – ich hoffe Ihr habt etwas Zeit mitgebracht! ROMAN IBRAMKHALILOV (Gitarre), EUGENE ABDUKHANOV (Bass) und VLAD ULASEVICH (Drums) weben hier wieder einmal einen vielschichtigen Klangteppich und bereiten damit für TATIANA SHMAYLUK und ihre Ausnahmestimme den Boden. Das Endergebnis ist mehr als nur rund, die Band spielt als Einheit so tight auf, dass es eine wahre Freude ist!

Diese mehr als bunte und unglaublich lebendige Mischung stellt für viele Liebhaber der härteren Gangart eine große Herausforderung dar, die auch weiterhin auf die selbsternannte Metalpolizei wie ein hochgereckter Mittelfinger wirken muss und soll. Konventionen werden großzügig über Bord geworfen, Genregrenzen mühelos ausgelöscht und ganz nebenbei auch der Versuchung widerstanden, sich selbst aus vermarktungstechnischen Gründen zu wiederholen oder einen festen „Signature Sound“ zu kreieren, der zwar als Markenzeichen erkennbar ist, gleichzeitig aber eben auch die Kreativität einengt und in vorgefertigte Bahnen zwingt.

Für JINJER gibt es vermutlich genau eine Regel, nämlich dass es keine Regel gibt. Mir persönlich gefällt das sehr gut. Ich mag es wenn Bands unbequem, kompromisslos und auch mal quer ins Ohr gehen – auch wenn dadurch der musikalische Genuss natürlich extrem von der eigenen Stimmung abhängt und davon ob man im jeweiligen Moment für diese Art Musik offen und empfänglich ist. Das erklärt vermutlich auch die noch immer aktuellen Diskussionen ob JINJER nun eine echte und authentische Metalband sind oder eben doch nur der nächste Hype, den viele (vielleicht auch aus Prinzip?) nicht nachvollziehen können oder wollen. Wie auch immer, genug gelabert! Kommen wir zum Wichtigsten, der Musik!

Mit einem finsteren „Look at me!“ starten JINJER in den ersten Song „Call Me A Symbol“ und zeigen gleich von Beginn an wo der Hammer hängt und weder die Instrumentaltruppe noch die Sängerin schonen den Hörer in irgendeiner Form. Ein klanggewordener Faustschlag ins Hirn, souverän und direkt serviert inkl. der erwarteten Vielschichtigkeit und musikalischen Flexibilität.

„Colossus“ startet da schon fast gemächlich in einen Neckbreaker, der geradezu nach dem Liveeinsatz auf großer Bühne schreit! Man merkt der Band an, dass sie Bock hat auf genau das, wie sie hier macht. Die Spielfreude ist spür- und hörbar und macht richtig Laune. Spätestens hier muss ich mal die Lautstärke hochdrehen und die (älteren) Nachbarn mit etwas modernem Geknüppel beglücken. Wo war nochmal das Bier zum Abrunden?

Das eingängigere „Vortex“ ist nicht nur die erste vorgestellte und ausgekoppelte Single aus diesem Album sondern auch kompositorisch großes Kino. Die Mischung ist auf den Punkt inkl. der langsamen Steigerung der Intensität hin zu einem Befreiungsschlag, der einen einfach mitreißen muss. Die Wechsel zwischen Klargesang und gutturalen Growls werden live eine echte Herausforderung sein, der die Sängerin aber aufgrund ihrer hervorragenden Gesangstechnik sicher gewachsen sein wird. Auch der gänsehauterzeugende Breakdown zur Dreieinhalbminutenmarke nach einer kurzen Kunstpause hat es in sich, wabert einem bösartig in die Ohren und kündigt einen großartigen Abschluss an.

„Disclosure!“ startet mit einem groovigen Riff und einem launigen „Whooo!“ in einen Song, der allen Beteiligten hörbar Spaß bereitet und bisher wohl der noch eingängigste ist und dazu einlädt der Aufforderung „Follow Me!“ Folge zu leisten. Wer also bisher mit JINJER gefremdelt hat, das wäre ein möglicher Einstieg. Live wird dieses Brett auf jeden Fall nicht nur im Pit so richtig abgehen, Vorfreude pur!

Der nächste Song „Copycat“ startet erst mal ziemlich progressiv bevor die Band langsam wieder auf Touren kommt und den Hörer auf die nächste musikalische Achterbahnfahrt mitnimmt. Hier wird alles geboten was Fans bislang an JINJER zu schätzen wussten. Auch wenn der stetige Wechsel zwischen Klargesang, Growls und Keifen mittlerweile nicht mehr überrascht, schaffen es JINJER sich dank ihrer musikalischen Vielfältigkeit nicht zu wiederholen. In „Pearls And Swine“ fällt das Intro zu Beginn entspannt aus bevor einen der musikalische Punch mitten auf die Zwölf trifft. Auch hier wird der Hörer mit musikalischen Wechselbädern abwechselnd umschmeichelt um anschließend ohne Umschweife in den Kochtopf auf großer Flamme geworfen zu werden – und zurück. Ein intensiver Song, der sicher so einigen gut in Erinnerung bleiben wird!

„Sleep Of The Righteous“ startet bereits mit unheilschwangeren Klängen in eine basslastige musikalische Dampfwalze, die neben dem Hörer auch Genregrenzen ohne großes Aufheben nieder macht und den Hörer auf eine Reise zur Hölle und zurück mitnimmt. Großartig! Der Titelsong „Wallflower“ ist komplett anders als bisher erwartet. Bei einem derartig wütenden Album hätten man hier die Steigerung dessen erwarten – aber stattdessen hat man es hier mit einem verspielten jazzlastigen Song zu tun, der stimmungsvoll und atmosphärisch vielschichtig die Notwendigkeit beschreibt den eigenen Akku an einem sicheren Ort aufladen zu müssen um es anschließend wieder mit der aktuell immer noch verrückten Welt aufnehmen zu können. „This Life Is A Lockdown!“, dem ist aktuell leider nicht allzu viel hinzuzufügen.

„Dead Hands Feel No Pain“ startet als Midtempo Song und bietet trotz aller Vielseitigkeit eine gewisse eingängige Melodie, die sich noch als Ohrwurm entpuppen wird. Insgesamt wirkt dieser Song trotz der düsteren Thematik (wer lässt sich schon gern von wildgewordenen Krähen zerpflücken?) lebendiger und fast schon fröhlich im Vergleich zu einigen anderen bisher gehörten Songs und macht richtig Laune. Das hier wird live besonders in der zweiten Hälfte ein richtig guter Banger.

Der Titel „As I Boil Ice“ lässt einen erst mal unweigerlich an all die Chuck-Norris-Witze denken, denn wenn einer Eis kochen kann, dann er. Wenig verwunderlich geht es inhaltlich aber natürlich um etwas komplett anderes. Musikalisch ist auch dieser Song eine Perle für sich und JINJER-typisch sehr stimmungsvoll in Szene gesetzt.

„Mediator“ glänzt als Abschlusssong mit einem gebrüllten „Stop!“ gefolgt von einem „Go!“ und einem anfeuernden „Come On!“. Ein witziger Start in einen Song, der noch einmal dem Hörer vor Augen bzw. Ohren führt was diese Ausnahmeband auf dem Kasten hat. Herrliches Geknüppel und einlullende Melodien mit brachialen Riffs, einem mehr als anspruchsvollen Drumming und einer scheinbar grenzenlosen Spannbreite im Gesang!

Es ist für mich unglaublich schwierig aus diesem Album Anspieltipps auszuwählen. Wie schon für das letzte Album gilt auch hier, dass es keine Füller sondern nur Bringer gibt! Gleichzeitig gibt es aber eben auch nicht diese ein oder zwei Songs, die stellvertretend für das Album stehen können, dafür ist es einfach zu abwechslungsreich und vielschichtig. Dieses Album ist unglaublich fett produziert, aber eben nicht überproduziert, und gleichzeitig roh, dreckig und mit vielen Ecken und Kanten.

Aus Prinzip vergebe ich praktisch nie 10 Punkte und auch hier bleibe ich bei 9,5 Punkten, da dieser Band zuzutrauen ist, dass sie immer noch das eine oder andere Ass auf der Hinterhand haben und damit weitere Steigerungen drin sind. Das Album wirkt interessanterweise nach dem wiederholten Durchhören gleichzeitig wie das bislang wütendste Album dieses Jahres – und gleichzeitig eingängiger als vorherige Werke.

Keine Ahnung, vielleicht liegt es auch daran, dass ich in meinem Job seit etlichen Monaten extremen Stress erlebe und mich innerlich oftmals ähnlich zerrissen und zerfasert fühle wie dieses Album auf unbedarfte Ohren wirken mag. Nach dem Prinzip „bekämpfe Feuer mit Feuer“ wirkt dieses an sich aufwühlende Album, das unseren Cheffe eher hat nervös werden lassen, auf mich unglaublich beruhigend – auch nach dem mittlerweile fünften Durchgang. Vermutlich wirkt es aufgrund seiner klanglichen Komplexität auf jeden anders.

So oder so, ich kann es nur empfehlen in jeden dieser Songs mindestens einmal hereinzuhören und dieser durch seine unbequeme Art sperrigen und anspruchsvollen Musik eine Chance zu geben. Die Musik und diese Band haben es mehr als verdient! Diese Band hat sich ihren Status auf unzähligen Bühnen über die Jahre redlich verdient und hat es sich nach Touren mit ARCH ENEMY, AMORPHIS und SOILWORK selbst in Pandemiezeiten nicht nehmen lassen einige kleinere Shows im Rahmen einer Social-Distancing-Tour durchzuziehen. Für nächstes Jahr wurden JINJER bereits als Support-Act für SLIPKNOT in Gdansk bestätigt.

Dieses Album wird für JINJER ein wichtiger Meilenstein sein, der diese scheinbar unaufhaltsame Ausnahmeband nicht nur einen Schritt sondern weit nach vorn katapultieren wird. Qualitativ ist das Quartett mittlerweile in einer Liga mit GOJIRA, MESHUGGAH und MASTODON angekommen. Das wird noch interessant, ich bin jetzt schon gespannt was sich die Band noch alles einfallen lassen wird! Für 2021 wird diese Album jedenfalls eines der spannendsten, wichtigsten und besten Alben sein an dem ein Metalhead kaum bis gar nicht vorbeikommen wird. Insbesondere Fans von anspruchsvoller Schlagzeugarbeit sollten hier unbedingt mal genauer reinhören, denn das, was VLAD ULASEVICH hier an den Drums präsentiert, ist für meine Begriffe großartig und trägt einen nicht kleinen Teil zur Vielfalt und Wucht dieser Band bei!

Anspieltipps: Alle, da es sich einfach lohnt diese musikalische Reise mitzumachen.


Bewertung: 9,5 von 10 Punkten


TRACKLIST

01. Call Me A Symbol
02. Colossus
03. Vortex
04. Disclosure!
05. Copycat
06. Pearls and Swine
07. Sleep of The Righteous
08. Wallflower
09. Dead Hands Feel No Pain
10. As I Boil Ice
11. Mediator




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