Label: Svart Records
VÖ: 30.03.2018
Stil: Progressive Rock
„Toinen Toista“ ist die zweite Scheibe der aus Helsinki stammenden Combo MALADY.
(Was für ein selten blöder Anfang einer Rezension. Er ist standardartig, uninspiriert, was für’s Phasenschwein. Aber ich bin so angetan von der Platte, dass mir schlicht die Worte fehlen, da ich nicht weiß, wo ich ansetzen soll. Ich könnte nach „einfach nur geil“ aufhören, aber das kann’s ja auch nicht sein. Also bemühe ich mich im Folgenden, meine Überwältigung in Worte zu fassen.)
„Toinen Toista“ heißt ebenso der Opener, der nach einem ruhigen fade-in-Improvisationsteil in einen wunderschönen Lauf mündet, in dem eine der Gitarren eine einprägsame Melodie wiederholt. Schon hier fällt die fast schon aufdringlich solide Harmoniearbeit von Bassmann Jonni Tanskanen auf, dem zu wirklich jedem Melodieton der passende Kontrapunkt einfällt. Das Stück geht weiter in eine sehr ruhige Strophe, bei dem auch zum ersten Mal die Vocals auftauchen. Diese sind, wie schon die Songtitel andeuten, auf Finnisch und entziehen sich daher leider von den Texten her meiner Kritik. Das bietet somit die Gelegenheit, ausschließlich auf die musikalischen Parameter zu blicken.
Dabei singt Babak Issabeigloo mit einer Seelenruhe, die zur verträumten Art der Musik passt. Hier geht es um Atmosphäre, um das Zelebrieren der Musik, um Klangwelten, die sich irgendwo zwischen PINK FLOYD, KING CRIMSON (und ich persönlich meine, musikalisch irgendwo einen leichten Hauch von AMORPHIS, die bekanntlich durchaus ähnliche Vorbilder haben, zu erkennen) befinden. Nach der Strophe geht es wieder in den bereits am Anfang gehörten Part, nur wird er nun deutlich dynamischer dargeboten.
Nahtlos geht es über in „Laulu Sisaruksille“, einem kurzen Interlude, das zuerst von einer nach Keyboard klingenden Melodie getragen wird. Bei der Recherche habe ich herausgefunden, dass Ville Rohiola tatsächlich als Keyboardist angegeben wird, aber natürlich auch, wie schon im Titelsong gehört, über eine Hammondorgel verfügt. Des Weiteren sollen ihm andere klassische Instrumente aus der frühen Synthie-Sparte zur Verfügung stehen, die sich aber meiner Fachkenntnis entziehen. All dies passt aber zum prog-psychedellic Ansatz der Platte und zur klanglichen Vielfalt der Tasteninstrumente.
Was nach der Hälfte des Tracks passiert, ist unerwartet. Der kalte, abgehackte eletctro-Klang geht nahtlos in ein Streich-Trio über, das die Melodie fließend weiterführt. Als Freund der Alten Musik kann ich mit solch barocken Klängen natürlich was anfangen.
Die Aufnahme bietet über die Musik hinaus eine unglaubliche Tiefe, weil man jede Bogenbewegung hört, was gerade beim Kontrabass manchmal wie ein Windhauch klingt.
Das folgende „Tiedon Kehtolaulu“ nimmt sich fast an wie Easy Listening. In diesem Song taucht zum ersten Mal die Querflöte auf, die nun des Öfteren Melodieparts und auch atmosphärische Fills übernimmt. Sanft wie Seide legen sich die Vocals über die Akkordfolge. In der Bridge ändern sich die Harmonien, werden unvorhersehbar und wirken kaskadenartig, was den Song zurück ins Progressive zieht. Das Ende ist ein Traum aus klanglicher Zuckerwatte und leichtfüßiger Schwermut (?!?).
„Etsijän Elinehto“ ist mit Vocals ausgestattet, die sofort ins Ohr gehen. Ruhig schwebend haben sie ihre Flügel über der melancholischen Akkordfolge ausgebreitet. Im Instrumentalteil zeigt die Band all ihr Können, alle Instrumente dürfen solieren und fügen sich unversehens wieder in den Gesamtklang ein, was eine gewaltige Dynamik erzeugt.
Dann noch „Nurja Puoli“!
Wie schön am Anfang die zweistimmige Querflöte fast wehmütig in einem Riesenreverb verschwindet! Als schwelge man in süßen Erinnerungen an etwas, das schon viel zu lang vergangen ist. So mag ein verblichenes Foto klingen. Die harmonisch etwas seltsame Akkordfolge, die dann folgt, kann durchaus wie der Moment sein, in dem man aus der Erinnerung zurück ins Hier und Jetzt kommt, aber den Geschmack noch im Mund hat, den Klang noch im Ohr, das Gefühl noch auf der Haut, und sich der Tatsache bewusst ist, dass nun Erklärungen anstehen. Es schließt eine Phrase der Gitarren an, die sich in Variationen quer durch den Song findet. Ich schweige jetzt und lasse die kommenden 18 Minuten vor sich hin mäandern. Dieser Song braucht die fast 23 Minuten, auf die er kommt, denn wir alle brauchen in dieser hektischen Welt viel öfter eine phantasievolle Auszeit.
An keiner Stelle wirkt dieses opus magnum nicht nachvollziehbar, nie überfordert es die Hörenden, nie ist es langweilig. Beim langen fade-out, fühle ich mich neu kalibriert.
Summa summarum: MALADY machen mit dieser völlig souveränen Vorführung ziemlich unzweifelhaft klar, dass sie im Prog-Rock der Retro-Variante noch von sich hören lassen werden.
Anspieltipps: „Toinen Toista“ und „Nurja Puoli“
Bewertung: 10 von 10 Punkten
Tracklist:
01. Toinen Toista
02. Laulu Sisaruksille
03. Tiedon Kehtolaulu
04. Etsijän Elinehto
05. Nurja Puoli