MENTAL CRUELTY – Zwielicht (2023)
(8.441) Maik (9,0/10) Symphonic Deathcore
Label: Century Media
VÖ: 23.06.2023
Stil: Symphonic Deathcore
Normalerweise ergreife ich bei Erwähnung irgendwelcher modern angehauchten Core- Geschichten die Flucht, und schreie angsterfüllt: „Kernkraft, nein danke!“. Doch was die Combo MENTAL CRUELTY auf diesem Album hier fabriziert, lässt mich dann doch überrascht innehalten und meine alten Ohren spitzen. Die Bezeichnung Symphonic Deathcore trifft das Schaffen des Fünfers wie die Faust aufs Auge, andererseits auch wieder nicht allzu genau.
Denn auf „Zwielicht“ wird durch die Gefilde des Extrem- Metals gesurft, der Hörer wird gleichzeitig von lieblichen Melodien und brutalster Ohrenpein heimgesucht und fühlt sich inmitten eines Mahlstroms an Ideen. Teilweise extrem abstrusen Ideen, die dennoch irgendwie Sinn ergeben.
Zunächst beginnt man mit einem Intro namens „Midtvinter“. Ein orchestral angehauchtes Werk, welches auch als Soundtrack zu einem Fantasy Epos herhalten könnte, und auch für einen Komponisten der Neoklassik passend wäre. Doch nahtlos wird das Tor aufgestoßen zu extremer Raserei, Allerdings erwarten uns hier nicht unbedingt Metalcore- Klänge. Eher erzeugt die Mischung aus wallenden Keyboardteppichen und dem Wechsel aus Kreisch- und Grollgesang leichte Anleihen an CRADLE OF FILTH, nur rasender, vertrackter, aber keineswegs zermürbend. Auch EMPEROR dürften hier etwas Pate gestanden haben, denn mittendrin wird der Black Metal- Hammer rausgeholt. Doch was Wunder: Fast nahtlos übergehend wälzen sich plötzlich Extremgrindcore- Klänge der langsam, schleifenden Art in die Gehörgänge, klassisch mit Pig Squeals.
Aber nicht, dass Ihr Euch daran gewöhnt, denn plötzlich erklingen Klargesänge, die wieder eine völlig andere Facette zeigen. Aber auch dies nicht für lange, denn schon bald wieder zerfetzen schwarzmetallische Ausbrüche für ein paar Takte das Gehör…
Wenn man das liest, klingt das nach einer Band, die sich gekonnt zwischen alle Stühle (oder Stile) setzt. Doch MENTAL CRUELTY kommen mir eher vor wie eine Truppe, die wie ein Derwisch um all diese Stühle herumtanzt und nicht nur sich, sondern auch dem Zuhörer in einen Zustand permanenter Atemlosigkeit versetzt. Denn hier wird man im Akkord zwischen Parts, die einem eher schräg vorkommen und Parts, die man einfach nur genial findet, hin und hergeworfen.
Als wir einmal in Island waren, hieß es dort: Wenn dir das Wetter nicht gefällt, warte zehn Minuten. Bei diesem Album könnte man sagen: Wenn dir die Mucke nicht gefällt, warte zehn Sekunden. Auf eine konkrete Stilkategorie lassen sich MENTAL CRUELTY eher nicht festlegen. Da fällt einem Heisenbergs Unschärferelation ein, und in meinem Hirn formt sich ganz von selbst die Wortkonstruktion Schrödingers Katzenmusik. Und das ist hier keineswegs bösartig gemeint.
Und wenn es eine Band schafft, vom französischen Grindcorekäse (Breeeeee) fast ohne Überleitung zu netten Keyboardklängen überzugehen, ohne sich einen Dreck darum zu scheren, was der Hörer darüber denkt, und das auch noch nachvollziehbar, können die sich meinetwegen wasweissich-Core nennen.
Mit dieser Mischung aus brutalstem Grindcore, Melodeath, Deathcore, Black Metal (und dabei fast aller Schattierungen), Pagan Metal, Heavy Metal, Symphonic Metal, Klassik, Doom und was weiß ich noch könnten sich Hörer, die sich eher stileingrenzend die Lauschlappen veröden lassen, etwas abgeschreckt fühlen. Doch wenn man sich MENTAL CRUELTY nennt, sollte eine gewisse geistige Grausamkeit nicht nur erlaubt, sondern Pflicht sein. Und dieser Pflicht kommen die fünf Schwarzwälder ohne Zweifel nach.
Natürlich sind die Umschnitte teilweise mörderisch und verstörend. Und immer überraschend. Denn da kommt doch der Titeltrack wie Bardengesang daher und lässt ein weiteres Mal die Kinnlade auf die Tastatur knallen. Doch nach anderthalb Minuten ist die Verschnaufpause vorbei, und es erklingt die „Symphony Of A Dying Star“, die ungeachtet der kosmologischen Thematik zu Beginn eher an TYR erinnert, dann aber in die übliche Raserei ausartet, wenngleich das melodische Thema immer wieder aufgegriffen wird.
Ihr merkt sicher, wenn ich jeden Song akribisch beschreiben wollte, würde dieses Review wohl kein Ende nehmen. Denn in jedem der zehn Tracks passiert so unendlich viel, dass es mit Worten kaum noch zu beschreiben ist. Friedrich Nietzsche hat einmal geschrieben: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“. MENTAL CRUELTY machen mir den Eindruck, genug Chaos für eine Galaxis in sich zu tragen.
Anspieltipp: „Obsessis A Daemonio“ und „Symphony Of A Dying Star“
Bewertung: 9,0 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Midtvinter
02. Obsessis A Daemonio
03. Forgotten Kings
04. Pest
05. Nordlys
06. Mortal Shells
07. Zwielicht
08. Symphony Of A Dying Star
09. The Arrogance Of Agony
10. A Tale Of Salt And Light