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WAR ON WOMEN – Capture the Flag (2018)

(4.663) - Stefan (10/10) Punk, Rock, Metal

Label: Bridge Nine Records (Soulfood)
VÖ: 13.04.2018
Stil: Punk, Rock, Metal, Thrash, Riot, etc.

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Punk ist die inklusivste Musikrichtung. Seine sprichwörtliche Schlichtheit ermöglicht es fast jedem noch so unmusikalischen Menschen, mit drei Akkorden einen Hit zu landen. Man pfeift auf Mode und ihre schnelllebigen Erscheinungen, was heißt, dass Weiblein und Männlein die gleichen Sachen tragen, ziemlich gleich müllig aussehen und die gleiche Attitüde wider den jeweils geltenden Mainstream hochhalten. Das hat mich bis in mein drittes Lebensjahrzehnt oftmals vom Punk, und vor allem seinen vom Mainstream vereinnahmten Varianten, ferngehalten.

But, as luck would have it, fand ich bereits als Teil des Establishments doch schnell dessen Schwachstellen heraus. Weil dies noch mit Haltungen mir bis dato zugänglicherer (und mit dem Punk ohnehin verwandter) Stile übereinkam, musste ich, nein, konnte ich endlich Punk als Bestandteil meiner Persönlichkeit akzeptieren. Es sind manchmal die Anarchie, die glorifizierte Bocklosigkeit, das Anecken mit überkommenen Werten und Denkschemata, die mich mit dem Punk sympathisieren lassen. Daher verwundert es mich nicht, dass mich „Capture the Flag“, das zweite Album der aus Baltimore, USA, stammenden Band WAR ON WOMEN aufgrund seiner Haltung anspricht.

Punk ist nicht Gleichmacherei, Gleichschaltung oder das Wegnehmen irgendwelcher Vorrechte, aber der Hinweis auf Missstände, auf Unrecht, auf systemisch bedingte und als Tradition gerechtfertigte Diskriminierung. So ist der Bandname Programm, weil er sich aus vor allem feministischer Sicht auf die Politik der Republikanischen Partei in den USA bezieht, die Frauen das Recht auf Selbstbestimmung, zum Beispiel in Bezug auf Geburtenkontrolle oder Abtreibung, per Gesetz abzusprechen versuchen. Es dürfte daher klar sein, dass das Urteil der Band über den aktuellen Präsidenten nicht sehr gut ausfällt. Im Bandcamp-Shop finden sich Artikel, die den alten Spruch der und das Symbol der Gadsden-Flag („Don’t tread on me“; Freunde von METALLICAs „Black Album“ kennen das Bild einer aufgerollten und zum Angriff bereiten Schlange), allerdings mit dem Spruch „Don’t grab me by the Pussy“ abgeändert aufnehmen. Das ist ein klares Statement vor allem gegen die konservative Tea Party in den Staaten. Dahinter steckt der Gedanke, dass Amerika nicht wieder, aber endlich mal wirklich großartig werden könnte… und der Rest der Welt auch. Dazu bedarf es aber, wenn nicht eines kompletten System-, so aber eines ordentlichen Wertewechsels.

Eben dafür stehen WAR ON WOMEN sehr deutlich ein. Auch wenn der Titel „Capture the Flag“ eher spielerisch anmutet, geht es dem Quintett, das aus drei Frauen und zwei Männern besteht, um eindeutig feministische Ansätze. Das könnte mir als Heten-Mann schnurzpiepegal sein, aber was wird aus euren Töchtern? Auch wenn ich keine Tochter habe, überlege ich (im Sinne meiner in Fragen der Reproduktion deutlich erfolgreicheren Kolleginnen und Kollegen) trotzdem, ob es in Ordnung ist, dass ein „equal pay-day“ nötig ist (weil er es nicht sein sollte) oder ob meine Schülerinnen in Zukunft schlechtere Job- und Einkommensperspektiven haben sollen (von einem glücklichen, selbstbestimmten Leben, in dem Beruf und Familie im Sinne aller Beteiligten (auch ihrer Kinder) vereinbar sind, wage ich ja kaum zu sprechen).

Der geneigte Leser hat längst gemerkt, dass ich noch nicht einen Ton zur Platte abgelassen habe. Aber genau das macht Punk für mich aus. Der oftmalige Minimalismus der Musik steht im Widerspruch zu einer ganzen Bandbreite von Themen, die sich in ihr bündelt. Dafür ist „Capture the Flag“ beredtes Beispiel. Wobei Minimalismus bei der Breite an gebotenem Material mitnichten die richtige Charakterisierung sein dürfte.

Songs wie „Lone Wolves“, „Dick Pics“, „Childbirth“ (fast programmmusikalisch), „The Violence of Bureaucracy“ (was für ein Growl/Scream am Anfang!!!) und „Anarcha“ (die Gitarren-Harmonien im Hintergrund des letzten Chorus verdienen Beachtung) knallen ordentlich los und zeigen die Wut auf, die sich hinter den systemisch bedingten Ungerechtigkeiten verbirgt.

Eher harmonisch und im oberen mid-tempo-Bereich angelegt sind „The Secret of Silence“ (sehr geile Gitarre in der zweiten Strophe), „Capture the Flag“ (trotz der hohen Screams im Intro harmonisch), „Pleasure & the Beast“ („If we only care about his feelings, who’s supposed to take care about me?“ scheint eine zutiefst egoistische Frage, die aber im Kontext des Songs gestellt werden muss), „Divisive Shit“ (abgehackt an sich, aber in dieser Schlichtheit zwischen Strophe und Chorus eine perfekte Einheit), „Predator in Chief“ (herausstechend durch die Gitarrenarbeit im Hintergrund und durch den Übergang zum Soloteil, der für sich selbst heraussticht) und „The Chalice & The Blade“ (das Ende bleibt lange im Ohr).

YDTMHTL“ möchte ich aus der Auflistung herausnehmen, weil sich in diesem Song alles findet, was ich bisher musikalisch in zwei Kategorien bündeln konnte. Die Vielschichtigkeit der Haltungen ist zwischen zuviel-zuwenig-Annahmen und wirklichen Problemen („you’re not too fat, you’re not too thin; and I like the skin you’re in“). Vielleicht die wichtigste Zeile ist daher: „and who we love is not a sin“. Das unterschreibe ich aus tiefster Überzeugung!!

Generell finde ich es treffend, dass die höchst talentierte Sängerin Shawna Potter den Spagat zwischen rotzig-röhrend, ja zum Teil fast maskulin anmutendem Gehabe, hohen Screams und harmonisch-leichteren Gesangs-Parts, die gerne allzu stereotypisch Frauen überlassen werden, in ihrer unaffektierten Gesangsart perfekt beherrscht. Das minutiös eingespielte Gesamtbild der Band bekommt mit ihr als alles zum Leuchten bringender Frontvoice noch mehr Glanz.

Anspieltipps: „Lone Wolves“, Pleasure & the Beast“ und „Divisive Shit“

Bewertung: 10 von 10 Punkten

Tracklist:
01. Lone Wolves
02. Silence is the Gift
03. Capture the Flag
04. Dick Pics
05. Pleasure & the Beast
06. Childbirth
07. The Violence of Bureaucracy
08. Divisive Shit
09. Predator in Chief
10. Anarcha
11. YDTMHTL
12. The Chalice & the Blade

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