Erfüllte Träume und purer Wahnsinn – RAMMSTEIN live
16.06.2019 - Rostock @ Ostseestadion
Es ist vielleicht eine der begehrtesten Touren Europas im Jahre 2019. Die Karten bei allen Konzerten auf dem Kontinent waren in Windeseile vergriffen und die Fans sind bzw. waren bereit, hunderte Kilometer innerhalb Deutschlands oder gar ins Ausland in Kauf zu nehmen ums sie zu sehen: RAMMSTEIN haben kürzlich ihr neues, selbstbetiteltes Album rausgebracht und bringen dieses derzeit live unters Volk. Es ist ihr erstes Werk nach 10 Jahren und die erste große Tour seit nun mehr drei Jahren – diverse Festival-Auftritte mal ausgeschlossen. Kein Wunder also, dass die Hallen und Stadien so schnell gefüllt waren.
Am 8. November 2018 ab 10 Uhr glühten dann sämtliche Internetleitungen und die Eventim Server drohten zu explodieren, als sich tausende von Fans einklinkten – und fernab jeglicher Illusionen gelang es uns doch tatsächlich, uns die heiß begehrten Karten fürs Rostocker Ostseestadion zu sichern. Da die Hoffnung realistische Bodenhaftung hatte, war mein Freudensprung wohl umso höher. Ich würde eine der prägenden Bands sehen, die meinen musikalischen Werdegang mit einläuteten und das zum ersten Mal nach fast 20 Jahren, die ich dieser Combo nun schon mein Gehör schenke – Wahnsinn!
Nach über einem halben Jahr Vorfreude, Rätseln und Schützen vor Spoilern (über jegliche Details der Show) war er nun da, der große Tag. Was würde mir wohl bevorstehen? Würden die großen Erwartungen erfüllt werden? Was wird neu sein? Welche Überraschungen wird es geben? Wie wird die Setlist aussehen? So viele Fragen und so viel Spannung… schon das war deutlich krasser als bei den etlichen Konzerten, die ich schon so erlebt habe. Doch bevor es mit RAMMSTEIN selbst losging, gab es ja erst noch den Support Act JATEKOK. Das französische Duo spielte auf einer kleinen Zweitbühne diverse RAMMSTEIN Klassiker als Klavierversionen. Manches davon war sehr schön inszeniert, wie zum Beispiel „Frühling in Paris“ oder auch „Seemann“, andere Stücke zündeten bei mir nicht ganz so. Grundsätzlich war es für mich kein Vorprogramm zum Anheizen, sondern eher zum Anfüttern und Hungrigmachen.
Was aber schon richtig heiß machte, war der Blick auf die gigantische Bühne. Sie ist angeblich eine der größten überhaupt, die derzeit unterwegs sind – und das möchte ich gern glauben. Sie ist 24 Meter breit und 15 Meter hoch und besteht größtenteils aus purem Stahl. Etwa 400 Arbeiter bauen dafür 50 Tonnen Equipment auf, worunter unter anderem ca. 100 Lautsprecherboxen für die fast 400.000 Watt Anlage fallen. Für diese wiederrum sind 60 LKWs von Nöten, hauptsächlich für den Transport der Aggregate. Auch hier für kann nur ein Wort fallen: Wahnsinn.
Und dann, ziemlich pünktlich um 20:30 Uhr, begann dann das eigentliche Schauspiel für tausende Begeisterte. Es ertönten stampfende Schläge von der Base Drum und RAMMSTEIN enterten nach und nach die Bühne und eröffneten ihr Set mit einem extrem lauten Knall und einem neuen Stück, welches „Was ich liebe“ lautete. Zwar gab es hier noch keine großen Feuerfontänen, aber dafür wurde der sonnige Himmel mächtig mit Rauchsäulen zugequalmt. Anschließend durfte marschiert werden und zwar in folgendem Rhythmus: „Links 2-3-4“. Nachdem vorherigen kräftigen Mitsingen bekam nun also gleich mal der Nacken ordentlich zu tun. Mit „Tattoo“ ging es zurück zum „Rammstein“-Album, was mich sehr freute, gehört die Nummer doch zu meinen Favoriten der neuen Scheibe. Und gleich der nächste Höhepunkt für mich: Da meine Liebe zu RAMMSTEIN damals mit dem Album „Sehnsucht“ eingeläutet wurde, war es einfach ein besonders großartiger Moment, als eben jener Titel- und Eröffnungssong des Werkes von 1997 nun ertönte. Auch mit dem folgenden „Zeig dich“ konnte meine Euphorie nicht gezügelt werden, ist er mein absoluter Liebling des aktuellen Albums. Wunderbar unterstützt wurde die Nummer optisch durch eine starke Licht- und Bildinszenierung.
Wie ernst es ein Till Lindemann meint, wenn er „Mein Herz brennt“ singt, sah man an einer brennenden Signalfackel in seiner Brust. So richtig feurig wurde es dann aber bei „Puppe“, als ein riesiger Kinderwagen plötzlich lichterloh in Flammen stand. Nach diesem erneuten Auszug aus der jüngsten Schöpfung der Band erfreute man die Menge durch „Heirate mich“ sogar mit einem Klassiker aus den guten, alten „Herzeleid“-Zeiten. Diesem kurzen Ausflug in die Vergangenheit folgte dann direkt ein Dreierpack an Neuheiten.
Den Anfang machte die Ballade „Diamant“. Zwar ist es eine stille Nummer, die einzig mit Bass, Keyboard und Gesang auskommt, doch ich mag das Stück wirklich gern. Einen Kontrast zu diesem ruhigen Lied brachte dann die Remix Version von „Deutschland“ von Gitarrist Richard Z. Kruspe, der ja bekanntermaßen auch ein Fan elektronischer Klänge ist. Optische Begleitung lieferten seine Mit-Instrumentalisten, die sich in diese witzigen Strichmännchen Outfits warfen und zu seinen Beats tanzten. Dass dieser Remix die perfekte Einleitung zur Originalversion des Titels sein würde, war zu erahnen und ging super ineinander über. Nachdem der Song schon als erste Auskopplung des Albums für Begeisterung sorgte, überzeugte er auch live allemal. Zugegeben war es schon etwas befremdlich, die Zeile „Deutschland über allen“ aus so vielen Kehlen zu hören und ich möchte einfach hoffen, dass die Leute um mich herum die Gedanken und Ideen der Band richtig verstanden haben. Wie auch auf dem Album und bei den Videos folgte darauf „Radio“. Dieser Song, der bei mir anfangs erst etwas wachsen musste, zündete heute sehr gut und man merkte, dass auch das teilweise etwas zurückhaltende Publikum gerade bei den letzten zwei Songs – möglicherweise aufgrund ihrer Aktualität – etwas mehr aus sich heraus kam.
Nun ging es erstmals zur „Reise, Reise“-Ära. Es war Zeit, Flake mal wieder ordentlich einzuheizen und das kann nur eines bedeuten: „Mein Teil“ stand jetzt auf der Agenda. Beim Anblick von Till in seinem Schlachter-Dress hob sich die Stimmung bereits und als er dann seinem Keyboarder anständig Feuer unterm – pardon – Arsch machte, steigerte sich diese mit jedem Flammenwerfer-Wechsel. Denn diesmal beschränkte man sich nicht nur auf den kleinen und den großen, sondern rollte eine Art Haubitze auf die Bühne, die mächtige Flammenstöße auf den lediglich durch Spezialkleidung (ja richtig, am Ende kein Topf mehr) geschützten Flake feuerte. Für viel Feuer und auch ein deftiges Feuerwerk sorgte auch der all time favourite „Du hast“. Noch heißer wurde es dann bei „Sonne“. Ganz ehrlich – viel wärmer kann der Himmelskörper selbst kaum sein. Die Leute in der ersten Reihe dürften wohl mindestens Haupthaar und Augenbrauen gelassen haben… Den ersten (vorläufigen) Schlusspunkt setzte dann „Ohne dich“, welches angeregt mitgesungen wurde.
Auf der Nebenbühne, auf der zuvor die zwei Damen von JATEKOK das Publikum einstimmten, wurde der erste Zugabenblock eingeleitet. Begleitet von den beiden Mesdames performten RAMMSTEIN eine Akustik Version des Klassikers „Engel“. Danach begaben sich die Instrumentalisten auf eine kleine Bootstour, hinweg über die Köpfe der Zuschauer, zurück zur Mainstage, wo sie Sänger Lindemann bereits empfing. Passender hätte die Überleitung zum nun folgenden Lied „Ausländer“ wohl kaum sein können. Auf CD ist mir das Stück ja ein wenig zu elektronisch, aber live rückten die Riffs dies angenehm zurecht. Ein Titel, der mir bis hier hin noch fehlte, war ganz klar „Du riechst so gut“, doch dann wurde mein Wunsch erhört, der Funkenbogen gespannt und los ging die Jagd. Worauf ich persönlich ja dagegen hätte verzichten können, war dann „Pussy“, aber das ist natürlich sehr subjektiv. Die Menge feierte den Party Song und natürlich auch die riesige Penis-Schaumkanone und ein wenig ließ ich mich dann auch anstecken.
RAMMSTEIN verschwand nun erneut von der Bühne, kehrte jedoch für zwei letzte Titel zurück. Der erste von ihnen war für mich wirklich eine Überraschung, die ich nur zu gern annahm: „Rammstein“, ein Song so einfach wie genial, war einer der späten Höhepunkte und verwandelte die Bühne in ein wahnsinniges Flammenmeer. Mit gigantischen Feuerfontänen, die den riesigen Bühnenturm sogar in Brand steckten, einem flammenspuckenden Rucksack auf Tills Rücken und Flammenwerfern an den Gitarren zogen sie noch einmal alle Register. Das entschuldigte dann auch zur Genüge, dass „Feuer frei“, der einzige Song der mir im Set fehlte, nicht gespielt wurde. Den krönenden Abschluss widmeten RAMMSTEIN aber einem anderen Song von „Mutter“: „Ich will“ lud zum Finale noch ein letztes Mal zum Mitsingen ein – eine Chance, die sich das ausverkaufte Ostseestadion nicht nehmen ließ. Mit Feuerwerk inklusive Goldregen verklang der letzte Akkord und die Band kniete dankend nieder vor ihren Fans. Darauf stiegen sie, begleitet von der Akustikversion von „Sonne“, in einen Aufzug, der den noch lodernden Turm hoch fuhr und mit einem letzten großen Knall verschwanden sie im Dunkel der Nacht. Und so ging nach gut zwei Stunden ein Konzert zu Ende, das bei mir nach wie vor ein Wort hinterlässt: Wahnsinn!
Setlist:
Was ich liebe
Links 2-3-4
Tattoo
Sehnsucht
Zeig dich
Mein Herz brennt
Puppe
Heirate mich
Diamant
Deutschland Remix
Deutschland
Radio
Mein Teil
Du hast
Sonne
Ohne dich
Zugabenblock I
Engel (Piano Version feat. JATEKOK)
Ausländer
Du riechst so gut
Pussy
Zugabenblock II
Rammstein
Ich will
Sonne (Piano Version)