JETHRO TULL – The Zealot Gene (2022)
(7.598) Patrick (9,0/10) Progressive Folk Rock
Label: insideOut
VÖ: 28.01.2022
Stil: Progressive Folk Rock
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An dieser Stelle möchte ich erstmal ein dickes Dankeschön an meinen Daddy aussprechen. Schließlich war er es, der mich bereits Mitte der 80er in die musikalische Welt von JETHROTULL führte. Seitdem hat die ein oder andere Platte den Weg in meine Sammlung gefunden und nun, knappe 35 Jahre später schreibe ich mein erstes Review für diese bereits 1967 gegründete britische Ausnahmeband.
Mit „The Zealot Gene“ wuchten JETHRO TULL nun mittlerweile ihr 22. Studioalbum in die Regale und die Spannung meinerseits war immens hoch. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die Künstler zum Teil bereits im fortgeschrittenen Alter verweilen, sondern auch weil mit der neuen Platte, nach dem Debütalbum „This Was“ aus dem Jahre 1968, erst die zweite Veröffentlichung ohne Gitarrenhexer Martin Barre entstanden ist. Aushängeschild, Sänger und Flötenteufel Ian Anderson ist demnach das einzig verbliebene original Mitglied der Band. Kann das gut gehen?
Ja, es kann. Und wie! Dieses Album ist purer Balsam für die Seele! Der britische Ausnahmemusiker hat ein paar Mitstreiter um sich geschart, welche ihn in den letzten Jahren bereits auf seinen Solo Ausflügen und auch live begleitet haben und somit ist der Weg für den bezeichnenden TULL Spirit geebnet.
Los geht’s mit dem locker aus der Hüfte gerockten „Mrs Tibbets“, welcher ein erstes Highlight des neuen Albums darstellt. Vertraute Flötenklänge dringen ins Ohr und spätestens, wenn der Meister seine unverwechselbare und samtweiche Stimme erhebt, dann fühlt es sich ein bisschen so an wie nach Hause kommen. Sofort projetziert sich der auf einem Bein stehende, rothaarige Flötenderwisch vor das geistige Auge und diverse Kindheitserinnerungen, lassen die ein oder andere Synapse in meinen angestaubten Gehirnwendungen in Ekstase versetzen.
Die begleitende E-Gitarre agiert, wie in allen Songs des neuen Werkes recht verhalten und weilt ein bisschen im Hintergrund, darf sich aber zum fantastischen Solo in die erste Reihe drängen. Ein typischer, vom Folk inspirierter TULL Rocker. Ein weiteres Juwel befindet sich direkt im Anschluss. „Jacob´s Tale“ ist eine wunderschöne, folkloristisch angehauchte, von Akustikgitarren und einer einschmeichelnden Mundharmonika getragene Ballade, in der vor allem die Stimme Ian Andersons unheimlich gut zur Geltung kommt.
Der bereits vorab ausgekoppelte Titeltrack mit seinem einprägsamen Refrain zählt ebenfalls zu den Sternstunden im Klangkosmos der Briten und im nostalgisch anmutenden „Shoshana Sleeping“ übernimmt die obligatorische Querflöte die Führung des Songs. Gerade die Art und Weise, dieses Instrument zu bändigen, die ganz eigene Rhythmik, bzw. die seltsam bekannt vorkommende Betonung, machen diesen Song zum wohl Bandtypischsten der Platte. Weiter geht’s mit der wunderbaren Akkordeon Ballade „Sad City Sisters“, bevor die Platte in meinem persönlichen Highlight „Barren Beth, Wild Desert John“ gipfelt. Diese, in allen Belangen perfekte Gesangslinie ist einfach nicht von dieser Welt! Grandios!
„The Zealot Gene“ lässt wahrhaft keinen schlechten Song und absolut keinen Durchhänger zu, allerdings bemerkt man ab dem letzten Viertel des Albums, dass sich die Songs z.T. im Aufbau und in der musikalischen Ausrichtung sehr ähneln. Das tut dem Hörvergnügen zwar absolut keinen Abbruch, macht es aber zumindest mir schwer, gegen Schluss noch weitere Highlights zu entdecken. Aber auch das sollte primär nicht groß ins Gewicht fallen, denn dieses Album entfaltet seine volle Wirkung sowieso am besten, wenn man sich die Zeit dafür nimmt und es am Stück unter guten Kopfhörern genießt. Dieser Veröffentlichung wohnt die eigenartige Fähigkeit inne, dem grauen Alltag für knapp 46 Minuten komplett entfliehen zu können, etwas runterzukommen und einfach mal die Seele baumeln zu lassen. Wie bereits erwähnt…Purer Balsam für die Seele!
Ian Anderson ist es tatsächlich gelungen, unter dem bereits in Vergessenheit geratenem Banner von JETHRO TULL ein zur Kunstform erhobenes Alterswerk zu erschaffen, welches gerade Fans der folkloristischen Seite ihrer Lieblinge in totale Entzückung versetzen sollte. Dabei ist der gute Mann mit seinen 74 Lenzen immer noch wirklich fantastisch bei Stimme. Klar, der powervolle Rocksänger, welcher seine Weisen mit mächtig Druck und Inbrunst ins Mikro schmetterte, war er ja im Grunde noch nie und so glänzt er auch auf „The Zealot Gene“ mit einer unvergleichlich warmen, sanften und in Teilen fast zerbrechlich wirkenden Darbietung.
Leidenschaft, totale Hingabe zur Musik, leicht progressive, aber niemals zu verkopft wirkende Songstrukturen und ganz viel Folk zeichnen somit das aktuelle Opus von JETHRO TULL aus. Ich für meinen Teil bin schwer begeistert und bei all dem „Krach“, den ich mir ja bekanntlich sonst so durch die Gehörgänge jage, ist diese Platte ein wahrhaft vortrefflicher Ohrenschmaus. Urlaub für die Ohren und eben…purer Balsam für die Seele!
Danke Daddy!
Danke Ian Anderson!
Danke JETHRO TULL!
Anspieltipps: „Mrs Tibbets“ und „Jacob´s Tale“ und “Barren Beth, Wild Desert John”
Bewertung: 9 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Mrs Tibbets
02. Jacob´s Tale
03. Mine Is The Mountain
04. The Zealot Gene
05. Shoshana Sleeping
06. Sad City Sisters
07. Barren Beth, Wild Desert John
08. The Betrayal Of Joshua Kynde
09. Where Did Saturday Go?
10. Three Loves, Three
11. In Brief Visitation
12. The Fisherman Of Ephesus